- Tin Pan Alley
- Tin Pan Alley[englisch/amerikanisch, tɪn pæn 'ælɪ; wörtlich »Blechpfannen-Allee«], von dem Komponisten Monroe H. Rosenfeld (1861-1918) 1900 in einem Artikel für den New York Herald aufgebrachte Bezeichnung für den New Yorker Verlagsdistrikt, damals in der 28th Avenue unmittelbar hinter dem Broadway. Er assoziierte mit diesem Begriff den pausenlosen Lärm aus den Fenstern der Musikverleger in ihren kleinen Büros zu ebener Erde, den die von Verleger zu Verleger laufenden Komponisten beim Vorspielen ihrer Songs verursachten. Der scherzhaft gemeinte Begriff blieb hängen und wurde zum Synonym für die amerikanische Musikindustrie jener Jahre und ihr Produkt, das Urbild des modernen Pop-Songs.Mit der Ende des 19. Jahrhunderts erfolgten Herausbildung und dem dann rasch expandierenden Verlagswesen in den USA begann die kommerzielle Verwertung von Musik als Notendruck (Sheet-Music) in einem bis dahin unbekannten Ausmaß, das die Entwicklung der populären Musik nachhaltig geprägt hat. Das Fehlen einer entwickelten bürgerlichen Musikkultur mit entsprechenden Traditionen auch im Verlagswesen führte in den USA zu einer ebenso unbekümmerten wie rücksichtslosen Übertragung der Methoden und Geschäftspraktiken des Kapitalismus der freien Konkurrenz auf Musikproduktion und -verbreitung. Binnen weniger Jahre, bis 1910, erreichte so die jährliche Gesamtauflage an verkauften Notendrucken bereits mehr als zwei Milliarden Exemplare (nach I. Goldberg, Tin Pan Alley. A Chronical of American Popular Music, New York 1930, 218). Aber nicht allein in quantitativer Hinsicht entwickelte sich die amerikanische Musikindustrie auf der Basis der rasch wachsenden Musikverlage zu einem Zentrum der Entwicklung der populären Musik. Ihre aggressiven Verwertungsmethoden führten schnell zu einer optimalen Anpassung der Musik selbst an die Bedingungen einer rein profitorientierten Produktionstechnik, was mit der zweiunddreißigtaktigen Chorusform des Tin-Pan-Alley-Songs (Song) die Ausbildung formaler Standards zur Folge hatte, die weltweit zum Vorbild für die kommerzielle Musikproduktion wurden. Als die großen Verlagshäuser wie Witmark ' Sons, Marks and Stern, Harris, Shapiro, Bernstein ' Co., Harms, Jerome H. Remick ' Co. und die Leo Feist Music Publishing Company in den Neunzigerjahren des vorigen Jahrhunderts entstanden, waren es die populären Coon-Songs aus den Minstrel-Shows, die sie angesichts ihrer Popularität recht risikolos als Notendruck in Loseblatt-Ausgaben unter die Leute bringen konnten. Vordem hatte in den USA der Notendruck von populärer Musik kaum eine Rolle gespielt. Die Broadway-Bühnen in New York mit ihren Vaudeville- und Varieté-Shows (Vaudeville, Varieté) sowie die anlaufende Musical-Produktion (Musical) boten dann mit ihrem unerschöpflichen Bedarf an populären Liedern nicht nur einen idealen Absatzmarkt für die neu entstandene Industrie, sondern lieferten ihr zugleich eine äußerst wirksame Werbung — was am Broadway Erfolg hatte, ließ sich als Notendruck auch landesweit verkaufen. Die daraus erwachsende Konzentration der Musikverlage um den Broadway herum bedeutete eine zusätzliche Verschärfung der ohnehin schon großen Konkurrenz und führte zu entsprechend aggressiven Verkaufsmethoden. Das Song Plugging (Songplugger) als Form des Direktverkaufs durch Verlagsvertreter sollte zum Inbegriff dessen werden. Auch die schöpferische Seite der Musikproduktion wurde von den geschäftstüchtigen New Yorker Musikverlegern zunehmend rationalisiert und Herstellungsmethoden nach industriellem Vorbild zu unterwerfen versucht. Waren die Komponisten mit ihren Songs anfänglich noch zu den Verlegern gekommen, um sie zum Druck anzubieten, so wurden sie alsbald schon zu Verlagsangestellten, die ihre Songs auf Bestellung aus einem Büro heraus zu liefern hatten. Zwischen 1920 und 1930 setzte dann noch eine zusätzliche Spezialisierung ein, nach der die Komponisten die Texte ihrer Lieder nicht mehr selbst verfassten, sondern dies von hauseigenen Textern besorgen ließen. Um die New Yorker Verlagshäuser entlang des Broadway gruppierte sich so eine Gruppe von Autoren, die über zwei Generationen hinweg die Entwicklung der populären Musik in den USA weitgehend bestimmt hat und zum Inbegriff von Tin Pan Alley wurde.Der erste Tin-Pan-Alley-Hit entstand bereits 1892 mit dem zum Evergreen gewordenen »After the Ball« von Charles K. Harris (1867-1930), das schon nach wenigen Jahren eine Auflagenhöhe von zwei Millionen Exemplaren überschritt. Der Komponist gründete mit den Einnahmen aus diesem damals im Selbstverlag erschienenen Lied noch im Erscheinungsjahr sein eigenes Verlagshaus, das dann zu den Säulen der Tin Pan Alley gehörte. Auf die gleiche Weise entstand 1902 das nicht minder berühmte Unternehmen Harry von Tilzers (1872-1946), der 1900 mit »A Bird In a Gilded Cage« einen immensen Verkaufserfolg hatte und mit über zweitausend Songs, viele davon in Millionenauflage, zu einem der bedeutendsten frühen Songschreiber der Tin Pan Alley gehörte. Weiter waren es Paul Dresser (1857-1906, Bruder des Schriftstellers Theodore Dreiser), Victor Herbert (1859-1924) und George M. Cohan (1878-1942), die mit ihren Liedern zum kommerziellen Aufstieg von Tin Pan Alley um die Jahrhundertwende beitrugen.Bei den frühen Tin-Pan-Alley-Songs handelte es sich zumeist um als »Waltz Song« bezeichnete Walzer, eine Nachwirkung des legendären Amerika-Gastspiels von Johann Strauß (1825-1899) aus dem Jahre 1872. Mit dem immensen Erfolg des »Alexander's Ragtime Band« (1911) von Irving Berlin (1888-1989) trat der Ragtime anstelle des Walzers als bevorzugter Grundrhythmus in der Liedbegleitung, bis auch er in den Zwanzigerjahren dann den sich in immer rascherer Folge einander ablösenden modischen Tanzrhythmen weichen musste. Inzwischen war u. a. mit Jerome Kern (1885-1945), George Gershwin (1898-1937) und Cole Porter (1891-1964) eine neue Generation von Tin-Pan-Alley-Autoren herangewachsen, die innerhalb der eng gezogenen formalen Grenzen nun vor allem die Harmonik der Lieder zu einer ausufernden Chromatik entwickelten. Die Verlagshäuser, die sie belieferten, waren durch Konzentrationsprozesse inzwischen zu riesigen Firmenkonglomeraten verbunden, die wie die aus der Vereinigung der Verlage Harms, Witmark ' Sons und Remick's hervorgegangene Warner Brothers Company auch im Filmgeschäft aktiv wurden, Produktionsstätten für Schallplatten, ganze Kinoringe und eigene Druckereien besaßen. Filmmusik wurde in den Dreißigerjahren dann auch zu einem Hauptfeld der Tin-Pan-Alley-Unternehmungen. Als sich in den Fünfzigerjahren mit der Herausbildung des Rock 'n' Roll der Schwerpunkt des Musikgeschäfts auf die Schallplatte verlagerte, brachte dies schließlich das Ende der Verlagsimperien der Tin Pan Alley. Die Musikindustrie formierte sich neu auf der Basis neuer Methoden der Produktion, kommerziellen Verwertung und Verbreitung von Musik.Siehe auch: Musikindustrie, Musikverlag.
Universal-Lexikon. 2012.